Martin, was hat euch bei der Jucker Farm dazu bewogen, das Thema Personal- & Organisationsentwicklung (PE/OE) vor 4 Jahren strategisch an die Hand zu nehmen?
Martin Jucker: «Mein Bruder Beat wie auch ich lieben es, innovative Geschäftsfelder zu entwickeln. Das hat in den letzten 20 Jahren dazu geführt, dass wir uns von einem 3-Personen-Bauernhof zu einem KMU entwickelt haben, das während der Kürbissaison auf fünf Standorten bis zu 500 Mitarbeitende beschäftigt. Das brachte eine Menge Komplexität mit sich, mit der wir in der alten Führungsstruktur schlichtweg überfordert waren. Es knirschte zunehmend im Gebälk. Fehler häuften sich, Konflikte nahmen zu und wir drehten uns gedanklich im Kreis. Es war an der Zeit, das Thema Personal- und Organisationsentwicklung strategisch in die Hand zu nehmen. Und da der Fisch bekanntlich vom Kopf her anfängt zu stinken, wussten wir auch, wo wir anfangen mussten. Bei uns selbst.»
Sonja, du bist HR-Leiterin bei Aroma. Was hat euch dazu bewogen, gemeinsam mit einem Bauernhof euer Lernen zu gestalten?
Sonja Jakob: «Der Kontakt zu Jucker Farm besteht seit Jahren und obwohl wir in unterschiedlichen Branchen tätig sind, ähneln sich die beiden Unternehmenskulturen stark. Beide Firmen werden von innovativen Inhabern geführt, sind bodenständig, immer im Fluss und vereinen unterschiedliche Berufe unter einem Dach. Zudem versteht man sich einfach gut, und das macht den Erfahrungsaustausch einfacher. Die Idee der H.AKADEMIE hat uns sofort begeistert und daher haben wir uns schnell und mit grosser Begeisterung für eine Zusammenarbeit entschieden. Auch das unkomplizierte Agieren und Ausprobieren zeichnet beide Kulturen aus. Wir hatten durch das rasante Wachstum der letzten Jahre einen Entwicklungsbedarf bei den Mitarbeitenden und Führungskräften festgestellt.»
Alessandro, Du begleitest als Co-Founder der H.AKADEMIE die Jucker Farm wie auch Aroma seit einigen Jahren im Thema Personal- & Organisationsentwicklung. Wo siehst du die Parallelen in diesem Bereich?
«Durch das Wachstum der letzten 10 Jahre ist bei beiden Firmen die Komplexität im Betrieb stetig gestiegen. Der Ruf nach Strukturen, Prozessen und Zuständigkeiten wurde immer lauter und so auch das Bedürfnis nach Orientierung und Führung. Um dem Wachstum Herr zu werden, haben beide Firmen fortlaufend neue Führungsfunktionen und Hierarchieebenen geschaffen. Operativ brachten diese Entlastung mit sich, doch die klassischen Entwicklungsaufgaben der PE/OE gerieten ins Stocken. Auslöser hierfür waren mangelnde Ressourcen und/oder Kompetenzen. Diese Entwicklung beobachte ich nicht nur bei diesen beiden Firmen. Für das Arbeiten AN der Firma braucht es oft andere Skills als für das Arbeiten IN der Firma. Hinzukommt, dass eine echte Transformation viel Ressourcen bindet und ganz schön Nerven kosten kann. Als KMU ist es auch nicht realistisch, extra dafür eine PE/OE-Stelle zu schaffen oder sich teure Berater einzukaufen. Dieses Dilemma kann dann aber schnell mal zu einem Entwicklungsstau führen.»
Martin, wieso hat sich die Jucker Farm vor 4 Jahren entschieden eine Akademie mitzugründen?
Martin: «Wir haben in unseren Wachstumsjahren immer wieder Mitarbeitende in Seminare und Schulungen geschickt. Sie haben dort zwar viel gelernt, doch leider nicht das, was wir für unseren Betrieb brauchten. Zuerst dachten wir, dass es an uns liegt. Wir fallen als innovativer Bauernhof ja aus allen Rastern. Doch als wir erkannten, dass es unseren KMU-Freunden ebenso ging, war die Idee einer massgeschneiderten Akademie naheliegend. Zudem hat uns damals Alessandro schonungslos die Finger in die Wunden gehalten und bei schwierigen Themen selbst mitangepackt. Da wussten wir, dass diese Kombination mit anderen KMU-Partnern funktionieren könnte.»
Sonja, worin siehst du die Vorteile, gemeinsam mit anderen KMUs die Personal- und Organisationsentwicklung zu gestalten?
Sonja: «Ein grosser Vorteil liegt darin, dass wir Lerngefässe mitentwickeln können, die genau zu den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden passen und unsere Betriebsrealität berücksichtigt. Wir können zudem schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren und Anpassungen vornehmen. Zudem ist es einfach bereichernd mit anderen KMUs unterwegs zu sein, die in einer ähnlichen Entwicklungsphase stecken wie wir. Wir helfen uns gegenseitig und erleben den Erfahrungsaustausch über die Hierarchiegrenzen hinweg als sehr entwicklungsfördernd. Ein weiterer wichtiger Punkt liegt darin, dass wir einen guten Teil der PE/OE-Kosten mit anderen Partnern teilen können. Als KMU mit 100 Personen wäre das sonst in dieser Dimension gar nicht möglich.»
Alessandro, der Bildungsbereich ist heute bereits reich an Angeboten. Warum braucht es aus deiner Sicht eine weitere (KMU-)Akademie?
Alessandro: «Wir wollten ja ursprünglich gar keine Akademie gründen, sondern «nur» der Jucker Farm durch ihren Entwicklungsstau helfen. Erst als wir ähnliche Geschichten von Partnerfirmen hörten, ist daraus die Idee einer Akademie von und für inhabergeführte KMUs entstanden. Inzwischen haben wir weitere 80 Interviews mit KMU-Unternehmer*innen geführt und die Geschichten wiederholen sich fortlaufend. Es fehlte nach einer Akademie, die die Betriebsrealität des KMUs berücksichtigt und eine, die Praxiswissen handlungsrelevant über die Hierarchien hinweg vermittelt. «More bang for the buck» sozusagen. Gleichzeitig wünschen sich viele eine echte Standortbestimmung auf Augenhöhe und eine Roadmap, die sie auch verstehen. Da müssen wir uns als Schulungsanbieter schon an der Nase nehmen und uns fragen, ob wir mit dem zunehmend komplexer werdenden Schulungsangebot und dem anhaltenden Agilitätswahnsinn die Realität vieler KMUs noch treffen.»
Sonja, bei Aroma beschäftigt ihr Mitarbeiter*innen aus über 20 unterschiedlichen Berufsfeldern (Architektur, Kreation, Produktion, IT, Administration) unter einem Dach. Welches sind eure Herausforderungen rund um das Thema Lernen?
Sonja: «Wir haben festgestellt, dass wir für eine gute Personalentwicklung schon bei der Rekrutierung anfangen müssen. Wenn Mitarbeitende nicht passen, von den Kompetenzen her oder vor allem kulturell, dann bringen die besten Massnahmen nichts. Darum investieren wir viel in eine werteorientierte Rekrutierung. Zudem erachten wir eine echte Standortbestimmung und eine fundierte Auseinandersetzung mit Entwicklungswünschen als sehr zentral. Daher fokussieren wir uns zurzeit auf das Thema Feedback und das Mitarbeitergespräch. Einen weiteren lernfördernden Aspekt sehen wir in unserer Organisationsentwicklung. Wir wollen in der Organisation Freiräume schaffen, in der unterschiedliche Karrierewege möglich werden. Ansonsten entwickeln sich Mitarbeitende aus der Organisation heraus.»
Alessandro, mit welchen Lernmethoden macht ihr zurzeit die besten Erfahrungen?
Alessandro: «Unsere Teilnehmenden sind ausschliesslich aus dem KMU-Bereich und arbeiten in einer bodenständigen Unternehmenskultur. Daher behandeln wir Lernen auch nicht als eine Raketenwissenschaft, sondern gestalten die Lehrgänge erlebnisreich und auch ein Stück weit unterhaltend. Neben der Vermittlung von Erfahrungswissen, setzen wir auf Einzelcoachings und Mentorings. Die Inhaber der KMUs stellen sich selbst als Mentoren*innen zur Verfügung und werden teilweise auch in den Lehrgängen involviert. Das kommt immer gut an. Wichtig ist einfach, dass es Spass macht und die Inhalte zu der Betriebsrealität der Teilnehmenden passen. Die Seminarlocations sind ausserdem bei ausgewählten KMUs vor Ort. An einem Tag sind wir auf dem Bauernhof am Pfäffikersee und am anderen Tag im urbanen Kreativstudio in Oerlikon. Das schafft Abwechslung und der Blick hinter die Unternehmenskulissen ist auch immer sehr spannend.»
Informationen zum Weiterbildungsangebot der H.Akademie
Über die Interviewpartner
Alessandro Semeraro ist Co-Founder & Geschäftsführer bei H.AKADEMIE AG
Martin Jucker ist Mit-Inhaber der Jucker Farm AG und Verwaltungsrat und Mentor bei der H.AKADEMIE AG.
Sonja Jakob ist Leiterin Human Resources bei der Aroma AG.