Eine provozierende Aussage für uns, die wir uns gewohnt sind, agile Transformationen mit hoher Methodenkompetenz und Effizienz zu planen und implementieren. Es klingt so ungewohnt, dass man sie schon fast in die Ecke von Koans* stecken könnte. Was hat denn meine „innere Verfassung“ mit dem Erfolg einer Intervention zu tun?
Von Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung zur Persönlichkeitsentwicklung
Wir reden über Selbstorganisation, autonome Teams und was eine Organisation braucht, um wirklich agil zu sein. Die Erfahrung zeigt: Wenn wir fünf Personen im Unternehmen fragen, wie sie eine agile Organisation beschreiben, erhalten wir häufig fünf verschiedene Antworten.
In der Arbeit mit Organisationen aller Branchen, Grössenordnungen und in unterschiedlichen Stadien der agilen Transformation wird eines immer wieder deutlich: Trotz guter Methodenkenntnisse, fachlich hochqualifizierten und motivierten Teammitgliedern und professioneller Begleitung kommen viele Projekte ins Stocken, Resignation macht sich breit und die erwarteten Resultate bleiben aus. Im Gegenteil, manchmal hat man bestehende Strukturen, die gar nicht so schlecht funktionierten unreflektiert über den Haufen geworfen und nun geht fast gar nichts mehr.
Dabei haben die Mitarbeiter ihre Scrum-, SAFe– und andere Kurse besucht, sie haben in Management 3.0 Trainings soziale Skills und neue Zusammenarbeitsformen kennengelernt, um die Organisation besser managen zu können, sie haben sich vielleicht mit dem Cynefin und SCARF Framework auseinandergesetzt… und doch, es läuft nicht wie erwartet.
Woran liegts?
Tatsache ist: Um wirklich agil zu werden, braucht es klare Führung, eine klare Struktur und Zielrichtung, die Entwicklung neuer Verhaltensweisen, sowie einen Bruch mit unbewussten Mustern, die tief in uns verankert sind. Was es braucht, ist ein ganzheitlicher Ansatz und die Bereitschaft, die agile Transformation als eine längerdauernde Entwicklungsreise und Chance zur persönlichen Weiterentwicklung zu verstehen.
Der Weg dahin
Betrachtet man eine Organisation aus einer integralen und systemischen Sicht, so sieht man Aspekte, die ein Wegweiser auf der Reise in die Agilität sein können. Wir setzen verschiedene Modelle ein, um das zu verstehen und veranschaulichen. Dazu gehört das Vier-Quadrantenmodell von Ken Wilber, das Bewusstseinsstufenmodell Spiral Dynamics und die integrale Landkarte, die alle Elemente beinhaltet und ein hilfreiches Navigationsinstrument für Transformation und Organisationsentwicklung darstellt.
Damit Veränderungsimpulse nachhaltig sein können, lernen wir vermehrt die wahren Ursachen von Problemen zu verstehen, statt nur Symptome zu bekämpfen. Mit dieser Betrachtung lassen sich viel gezieltere Interventionen planen und gleichzeitig, wird das in den Menschen und Teams angelegte Potential entwickelt. Um erfolgreiche alte und vor allem unbewusste Muster brechen zu können, braucht es auch eine gewisse Portion psychologisches und neurologisches Verständnis. Seit einigen Jahren verbreitet sich das Verständnis von sogenannter Neuroplastizität. Sie besagt, dass wir Menschen uns jederzeit verändern können, bis ins hohe Alter. Wir müssen es bewusst in Angriff nehmen und die Voraussetzungen dafür verstehen, damit das möglich ist. Es reicht weder zu bewahren noch mit Druck die Veränderung zu erkämpfen, es braucht einen organischen, menschengerechten Weg dahin.
Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte
Jede Organisation hat eine individuelle und spezielle Ausgangslage und braucht darum andere Methoden und Massnahmen für eine Transformation. Häufig wird auch das Ziel nicht klar definiert. Man will einfach „agil“ werden, und unterhält sich nicht in Ruhe darüber, was das bedeutet, und wie Agilität in den Gegebenheiten der Organisation am besten implementiert werden kann.
Solche Fragen zu klären, dafür sind die integralen Werkzeuge sehr unterstützend und helfen sicherzustellen, dass keine wichtigen Aspekte unter den Teppich gekehrt werden.
Das Vier-Quadrantenmodell von Ken Wilber
Die Grundregel heisst: für eine ganzheitliche Betrachtung und für die Gestaltung von Transformationsprozessen braucht es eine Ausgewogenheit aller vier Quadranten.
Wir sehen auf der Grafik, dass Strukturen und Prozesse rechts unten stehen. Die Entscheidung, eine agile Methode einzusetzen und die Wahl der Methode gehören in diesen rechten unteren Quadranten. Die Einführung und Umsetzung der Methode wird jedoch nur gelingen und nachhaltig sein, wenn die Kultur der Organisation dies zulässt. Das heisst, links unten müssen die Organisationskultur, die Umgangsregeln, die gemeinsamen Werte auf die Struktur die man rechts unten gewählt hat abgestimmt werden. In den oberen Quadranten stellt man sicher, dass die Mitarbeiter sowohl persönlich, von ihrem individuellen Wertesystem her und auch in Bezug auf Sozial-, Fach- und Methodenkompetenz das passende Rüstzeug mitbringen. Wenn nicht, muss ein individueller Schulungs- und Entwicklungsplan ausgearbeitet werden.
Diesen grundlegenden Aspekten wird häufig in der Praxis zuwenig Beachtung geschenkt. Das kann dazu führen, dass viel Sand im Getriebe ist, dass agile „Projekte“ nicht vorankommen und in gewissen Fällen irgendwann sogar aufgegeben werden. Unter dem Motto „es funktioniert halt doch nicht“ oder „wir haben die falsche Methode gewählt“. Eine kleine SWOT auf dem Flip muss häufig reichen, um eine über Jahrzehnte gewachsene Organisation in die agile oder digitale Zukunft zu führen. Kein Wunder wenn da kein Flow aufkommt.
Für die agile Transformation gelten folgende Grundregeln:
Der Schauplatz für die Organisationsentwicklung wechsel von den rechten Quadranten (Struktur- und Prozessoptimierung) auf die linken Quadranten (Persönlichkeits- und Teamentwicklung)
Eine wichtige Regel heisst: wenn ich Strukturen im Aussen abbaue (agile, flache Hierarchien, Selbstorganisation), so müssen diese Strukturen im Innen aufgebaut werden, in der Persönlichkeit der einzelnen Mitarbeiter und in der Beziehungskultur in den Teams und im Selbstverständnis der Gesamtorganisation.
Spiral Dynamics
Um eine integrale Landkarte erstellen zu können, braucht es ein Verständnis von Spiral Dynamics. Der Psychologe Clare Graves hat dieses Modell in den 80er Jahren ausgearbeitet. Die Stufen beschreiben die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins in der Evolution. Dies ist nicht als Typologie zu verstehen, sondern diese Stufen sind alle in uns angelegt, sie sind Teil unserer DNA und damit in all unseren Zellen. Sie stehen uns allen zur Verfügung und wir können sie, je nach Bewusstseinsentwicklung, dynamisch und situativ einsetzen.
Bei der Orchestrierung von Teams in Organisationen, im Umgang mit Widerständen und Konflikten, bei der Planung von Massnahmen und Interventionen zur Organisationsentwicklung hat sich die Betrachtung der Dynamiken durch die Brille dieses Modells sehr bewährt. Für jemanden, der seine Organisation integral führen will, ein fast unentbehrliches und hilfreiches Modell. Hier eine Kurzbeschreibung der Stufen:
Türkis– Stufe nach Gelb – diese blenden wir in dieser Betrachtung vorläufig aus.
Gelb (Teal nach Ken Wilber) – Bewusste Entwicklung, Evolution durch Intuition, Inspiration und wertefreie Integration aller vorhergehenden Bewusstseinsstufen.
Grün – Menschlichkeit und Miteinander durch Verbindung auf Augenhöhe, Mitgefühl, Sinnhaftigkeit, alle Perspektiven verdienen gleichen Respekt, Bewusstsein des Eingebettet Seins in ein grösseres Ganzes (Gesellschaft, Nation, Planet)
Orange – Wohlstand und Erfolg durch Wissenschaft und Fortschritt, Wettbewerbsorientierung, bildet sich eine eigene Meinung, kann Autorität in Frage stellen, Management by Objectives
Blau (Amber nach Ken Wilber) – Ordnung und Stabilität durch Regeln, äussere Autorität wird nicht hinterfragt. Strukturierte Prozesse, Befehl und Kontrolle, Hierarchie, Moral, schwarz-weiss Denken
Rot – Durchsetzung und Expansion durch Willen und Selbstbehauptung, impulsiv (plant nicht). Heldentum, Egozentrik
Beige und Purpur blenden wir in dieser Betrachtung für den Moment aus.
Weiterentwicklung auf der Spirale bedeutet: Jede Stufe definiert Werte anders. Was jemand unter Loyalität, Ethik, Verantwortung oder guter Leadership versteht, hängt davon ab, aus welcher Bewusstseinsstufe heraus die Frage beantwortet wird. Das individuelle Potenzial jedes Einzelnen und damit auch von Teams kann damit freigesetzt werden, wahrscheinlich einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Organisationen in der nächsten Zukunft.
Zusammenfassend könnte man sagen: Organisationsentwicklung in Richtung Agilität und darüber hinaus bedeutet eine Verbesserung der Beziehungsqualität in der Organisation.
Die integrale Landkarte
In dieser Landkarte sieht man die Elemente, die die Karte ausmachen: die Einteilung in die vier Quadranten, die farbigen Kreise entsprechen den Stufen von Spiral Dynamics und pro Quadrant eine beliebige Anzahl sogenannter Entwicklungslinien. Je nach Fragestellung der Organisation wählt man pro Quadrant passende Entwicklungslinien. Die Entwicklungslinie „Führungsstil“ zum Beispiel (rechts oben) zeigt nun auf, wie der Führungsstil auf jeder Bewusstseinsstufe gelebt wird und hilft zu identifizieren, wo man selber damit steht und wo die anderen im Team stehen. In dieser Landkarte hier eine rein zufällige Auswahl von Entwicklungslinien.
In Workshops werden gemeinsam die für die Organisation relevanten Entwicklungslinien pro Quadrant erarbeitet. Schon diese gemeinsamen Diskussionen lösen in der Regel konstruktive Entwicklungsprozesse aus.
Aus systemischer Sicht sagt man „Du kannst nur verändern, was bewusst ist.“
Dadurch, dass man mit diesen Diskussionen den Scheinwerfer auf den Status Quo wirft, und diskutiert, was man denn verändern möchte, bring man viel Bewusstsein und damit bereits Bewegung in die Organisation.
Mit einer solchen individualisierten Landkarte können nun Assessments von Teams oder von spezifischen Themen quer über die Organisation erstellt und sowohl Ausgangslage als auch Zielvorstellung differenziert beschrieben werden. Gerade Vergleiche von verschiedenen Organisationseinheiten bringen häufig Einsichten in bisher nicht verstandene Reibungspunkte, die sich in einer solchen Betrachtung manchmal in ein besseres gegenseitiges Verständnis und mehr Toleranz auflösen können.
Zu all diesen Themen bieten wir verschiedene Ausbildungen, Workshops und Coaching an. Dazu gehören:
- Individuelle Workshop und Case Studies
- Individuelles Coaching
- Inhouse Workshops
Zusätzlich finden Sie nachfolgende einige passende Kurse. Wir begleiten Sie gern auf Ihrer Integralen Reise.
*Koan: Koans werden in der Zen-Meditations-Praxis eingesetzt. Der Meister stellt dem Schüler ein Koan, eine Frage, die nicht durch Denken beantwortet werden kann. Jeder weiss, es gibt keine logische Antwort auf die Frage und doch lohnt es sich für den Schüler, ihr wirklich auf den Grund zu gehen. Wenn sich das Denken erschöpft, kann es zu einer echten Erfahrung über die endlose Wirklichkeit des Lebens kommen – und das ist die eigentliche Antwort. Koans können nie verstandesmässig gelöst, sondern nur durch intuitives Eintauchen in die Weisheit der Frage verstanden werden. Die Frage und die Suche nach der Lösung machen den Praktizierenden für eine echte Erkenntnis empfänglich.