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Hier findest du frühere Evrlearn Podcast Episoden:
- #1 Joël Luc Cachelin, Zukunftsforscher Wissensfabrik
- #2 Marcel Salathé, Akademischer Direktor EPFL Extension School
- #3 Martin Scherrer, Co-Founder Jobplattform Yooture
- #4 Dr. Marco Salvi, Senior Fellow und Forschungsleiter Chancengesellschaft Avenir Suisse
- #5 Verena Tschudi, Gründerin und Inhaberin von Level me up! Coaching
- #6 Matti Straub, Gründer 7Generations & Kaospilots Schweiz
- #7 Dr. Anaïs Sägesser & Dr. Björn Müller, Co-Founder STRIDE unSchool
- #8 Isabelle Chappuis, Executive Director FUTURES Lab, HEC Lausanne
Dr. Sonja Studer, GL & Bereichsleiterin Bildung bei Swissmem
Sonja Studer ist Geschäftsleitungsmitglied und Bereichsleiterin Bildung bei Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie. Swissmem hat unter anderem die Aufgabe, die Bildung, Berufsbildung und Weiterbildung aller Industrie-Angehöriger zukunftsfähig zu halten und zu machen. Sonja Studer ist bereits seit 12 Jahren in unterschiedlichen Rollen bei Swissmem tätig und war davor für Projekte an der Universität Hong Kong verantwortlich. Sie hat an der ETH Zürich Umweltwissenschaften studiert und in Mikrobiologie promoviert.
Wir sprechen mit Sonja Studer über Neugier und Strategien für Weiterbildungen. Über die Pflicht und die Lust dazu. Über den Stand der Dinge hinsichtlich lebenslanges Lernen in der Schweiz und in der MEM-Industrie. Der Fachkräftemangel bleibt weiterhin ein schwergewichtiges Thema, wird aber vor allem durch die Bildung in Zaum gehalten. Zudem plädiert sie für das verstärkte Sichtbarmachen von Kompetenzen. Neben formalen Weiterbildungen, Abschlüssen und Diplomen soll in sogenannten Kompetenz-Portfolios gezeigt werden, was in den Unternehmen erlernt und an Fähigkeiten und Kompetenzen aufgebaut wird.
🎙️ Show Notes
⏱️ 01:30 – Vorgehen & Strategie für Weiterbildung
«Das eigentliche Lernen passiert nicht in Weiterbildungskursen, sondern ‚on-the-job‘.»
«So habe ich in den letzten zwei Jahren mein berufliches Umfeld und damit den Fokus verändert und bin vom Minergie- und Umwelt-Bereich in den Bildungsbereich. Und in dieser Zeit – auch ohne formale Kurse – habe ich enorm viel dazugelernt.»
«Die Strategie ist einfach: Es gilt, neugierig zu bleiben, um Neues lernen zu wollen. Es geht darum, sich zu informieren, zuzuhören, Fragen zu stellen und sich so beständig weiterzuentwickeln.»
«Wenn die Neugier und die eigene Motivation nicht vorhanden ist, dann kann man Stunden mit Weiterbildung verbringen, da bleibt nichts hängen. Das persönliche Interesse ist sehr wichtig. Aber auch sehr wichtig ist der Bedarf für die Arbeit. Denn was ich auch gelernt habe, ist, dass Weiterbildung oder Bildung auf Vorrat überhaupt nichts bringt. Es ist wichtig, Dinge zu erlernen, die man jetzt braucht oder zumindest in naher Zukunft.»
⏱️ 04:00 – Skala von 1-10 für Lebenslanges Lernen in der Schweiz
«Ich würde spontan sagen eine 7.»
«Die Schweiz steht im internationalen Vergleich sehr gut da. Wir haben gerade mit dem dualen Berufsbildungssystem eine einzigartige Ausbildungsmöglichkeit. Auch dank diesem System haben wir eine enorm hohe Durchlässigkeit. Das heisst, auch wenn jemand nicht den gymnasialen Weg beschreitet, dann steht er auf keinen Fall in einer beruflichen oder karrieremässigen Sackgasse, sondern hat Möglichkeiten, sich bis hin zum Hochschulstudium weiterzuentwickeln.»
«Wo wir in der Schweiz Nachholbedarf haben, ist im Bereich der digitalen Kompetenzen. Da gibt es auch internationale Vergleichsstudien. Da sind wir bestenfalls im Mittelfeld, aber sicher nicht bei den Vorreitern.»
«Was es sicherlich noch braucht ist, dass das lebenslange Lernen, das konstante Weiterbilden enorm wichtig ist. Wir wissen es im Grunde genommen alle. Aber das ist so etwas, das man gerne mal verdrängt, wenn man sonst viel zu tun hat.»
«Gerade der technologische Wandel, der sich beschleunigt, der die Anforderungen an die berufliche Tätigkeit sehr stark und sehr rasch verändert, der bringt es mit sich, dass man sich konstant weiterentwickeln muss.»
«Ich denke, der allerwichtigste Punkt, wo wir uns in der Schweiz weiterentwickeln müssen, ist festzustellen, wo man steht, die Standortbestimmung, und was man eigentlich braucht. Das ist einerseits eine persönliche Frage. Es ist andererseits auch eine Herausforderung, sichtbar zu machen, was man gelernt hat. Auch eben gerade was man im nicht-formalen Bereich gelernt hat, was man ‚on-the-job‘ gelernt hat, das sichtbar und vergleichbar zu machen. Und daraus den konkreten Weiterbildungsbedarf abschätzen zu können.»
⏱️ 07:00 – Wie sieht es aus für die Berufstätigen zwischen 30 und 50 Jahren
«Nur schon aufgrund der familiären Umstände ist das Lernen in diesem Alter oft weniger im Vordergrund. Man ist irgendwo etabliert, man hat wenig Zeit sich ausserhalb des Berufs oder der Familie weiterzubilden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, wo man ansetzen muss. Denn die technologische Entwicklung, die Digitalisierung, macht vor niemandem halt. Die betrifft alle, alle Altersgruppen, und deshalb ist auch das konstante Weiterentwickeln so zentral. Damit meine ich aber nicht nur formale Weiterbildung, sondern auch im Job eine neue Herausforderung suchen oder eine neue Verantwortung zu übernehmen.»
«Wir sehen in der MEM-Industrie eine gewisse Überalterung im Vergleich zu anderen Branchen. Wir verlieren jedes Jahr viele Mitarbeitende durch Pensionierung. Wenn wir dann die einfache Rechnung machen, wieviele Mitarbeitende gehen verloren und wieviele Jugendliche können wir nachziehen, da sehen wir da bleibt ein Gap.»
«Das heisst, für die Unternehmen ist es wichtig, die Zielgruppen, die wir für unsere Industrie gewinnen möchten, auszuweiten. Dazu zählen nicht nur die Jungen sondern eben auch die älteren Mitarbeitenden. Es geht darum, sie länger in der Industrie zu halten, sie arbeitsmarktfähig zu halten, das bedingt Weiterbildung. Deshalb ist das Up- & Reskilling von Erwachsenen für uns ein schwergewichtiges Thema.»
⏱️ 10:00 – Weiterbildung als Pflicht – Wer ist im Lead?
«Gefragt sind alle.»
«Der Begriff Pflicht missfällt mir ein wenig, da er die Eigenmotivation und eine gewisse Lust an Weiterbildung nicht beinhaltet.»
«Die allererste Verantwortung für Weiterbildung liegt immer beim Individuum selbst. Denn ohne den Willen, sich weiterzuentwickeln, passiert nichts.»
«Bei der berufsorientierten Weiterbildung sehe ich auch die Unternehmen in einer sehr wichtigen Rolle. Die Unternehmen sind diejenigen die spüren und wissen, was für Fähigkeiten und Kompetenzen jetzt und in Zukunft gefragt sind.»
«Die Verbände spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und der Sensibilisierung der Unternehmen. Auch sind wir als Verbände häufig das Bindeglied zwischen den Unternehmen und der Politik. Die Politik ist meiner Meinung nach insofern gefordert, wenn es darum geht, Kompetenzen, Abschlüsse, Ausbildungen sichtbar zu machen, Anerkennungen zu fördern und vergleichbar zu machen, sodass eben diese Durchlässigkeit gewährleistet ist.»
⏱️ 13:30 – Kompetenzen sichtbar machen
«Als HR-Verantwortliche in einem Unternehmen erhalte ich sehr viel Bewerbungen mit einer Vielzahl an Abschlüssen und Diplomen, die sehr wenig aussagen über das, was eigentlich dahinter steckt.»
«Was ich eigentlich sehen möchte, ist, was hat dieser Mensch für Fähigkeiten, was hat er wirklich gelernt, was kann er im beruflichen Alltag umsetzen?»
«Das Sichtbarmachen bedeutet, dies vergleichbar zu machen. Es ist eine grosse Frage der Anerkennung. Welche Abschlüsse sind gleichwertig? Es geht um internationale Fragen, was für ein Abschluss bietet ähnliche Inhalte wie ein Schweizer Abschluss mit ähnlichem Namen?»
«Aber für mich auch sehr wichtig ist das Sichtbarmachen der nicht formal erworbenen Kompetenzen. Da gibt es in sehr vielen Organisationen Überlegungen und Ideen wie Kompetenz-Portfolios, einen Ausweis, den ich mit mir mittrage, in dem ich mein Leben lang die Kompetenzen, die ich erworben habe, abbilden, weitergeben und vorbringen kann. Wo ich einerseits eine Standortbestimmung machen kann, was bringe ich mit. Aber auch einem HR-Verantwortlichen zeigt, was hat diese Person nun tatsächlich gelernt, was für ihre zukünftige Tätigkeit wichtig ist.»
«Was es braucht für ein solches Kompetenz-Portfolio ist ein Kompetenz-Raster, welches die Kompetenzen vergleichbar macht. Ich glaube, das ist die ganz grosse Herausforderung, hier eine Grundlage zu bilden.»
«Wir haben ein solches Portfolio noch nicht, aber wir sind daran, uns im Rahmen unserer Arbeiten Gedanken dazu zu machen. Wir tauschen uns mit diversen anderen Organisationen aus, die sich ähnliche Überlegungen machen. Und ich spüre, dass an sehr vielen Orten darüber nachgedacht und viel ausprobiert wird.»
⏱️ 17:00 – Mit auf den Weg geben an Lehrabschlussfeier
«Der Lehrabschluss ist keineswegs ein Abschluss ihrer beruflichen Weiterentwicklung, sondern dass sie erst gerade mittendrin stehen. Und dass in der nächsten Phase die Verantwortung für die Weiterentwicklung und die Frage, was sind die Kompetenzen die ich brauche, viel stärker bei ihnen liegt. In der nächste Phase des Lebens gibt es keinen Lehrplan mehr, der ihnen vorschreibt, was zu lernen ist. Sondern da ist dann die Eigenverantwortung gefragt. Da stehen auch alle Türen offen, sei dies in einer Führungsposition, sei das in einer fachlichen Vertiefung.»
⏱️ 21:00 – Transversale Skills vs. Vertiefung
«Ich glaube, die transversalen Skills haben stark an Bedeutung gewonnen. Wir können sicher nicht sagen, wir brauchen nur noch Generalisten und keine Fachspezialisten mehr. Aber die Notwendigkeit, flexibel zu bleiben und sich Neues anzueignen. Selbst wenn ich ein Fachspezialist bin, entwickelt sich die Technologie weiter. Ich muss mit neuen Systemen umgehen lernen. Ich muss mit anderen Disziplinen umgehen lernen. Die Vernetzung zwischen den verschiedenen Disziplinen wird immer stärker. Diese Eigenschaften wie vernetztes Denken, Teamfähigkeit, Umgang mit komplexen Problemen werden wichtiger. Gerade dadurch, dass viele Routinetätigkeiten automatisiert werden können, nimmt der Anspruch des Menschen als Problemlöser zu. Ich denke, in diese Fähigkeiten zu investieren ist sicherlich nie verkehrt.»
⏱️ 26:00 – Was ist der Bildungsauftrag von Swissmem?
«Wir sind zum Einen sehr stark engagiert in der Berufsbildung, wo wir diese Berufe wirklich selbst entwickeln, Qualifikationsprofile bereitstellen, aber auch die Lernmedien entwickeln und Prüfungen herstellen. Dasselbe gilt auch für die höhere Berufsbildung.»
«Wir sind gleichzeitig für die Unterstützung der Unternehmen da, bei allen Bildungsfragen. Wie können sie lebenslanges Lernen etablieren, wie können sie ihre Berufsbildner weiterbilden und so weiter.»
«Wir sind auf der politischen Ebene aktiv für gute Rahmenbedingungen. Und wir sind nicht zuletzt selbst Weiterbildungsanbieter für Fach- und Führungsausbildung in der MEM-Industrie.»
«Unser Engagement im Bildungsbereich ist sehr stark abhängig vom Fachkräftebedarf. Für Unternehmen in der Schweiz sind gut ausgebildete Fachkräfte im globalen Wettbewerb eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren.»
⏱️ 29:00 – Welche Hebel wirken gegen den Fachkräftemangel?
«Ein wichtiger Hebel ist ganz klar die Bildung. Den Nachwuchs anzuziehen und die Leute weiterzuentwickeln.»
«Ein zweiter wichtiger Hebel ist ein attraktives und flexibles Arbeitsumfeld, das auch den sich wandelnden Bedürfnissen der neuen Generation gerecht wird.»
«Ein weitere wichtiger Faktor für uns ist, dass wir international offen bleiben müssen. Egal wie stark wir uns bemühen, in der Schweiz Fachkräfte zu rekrutieren, unsere Firmen werden immer auch Fachkräfte aus dem Ausland benötigen.»